Über die Geschichte der Färberei Lichtenstein dem heutigen Domizil des MEC 3/22

Verfolgt man die Geschichte der Färberei, zu der unsere Mitglieder liebevoll „Alte Färberei“ sagen, müssen wir bis Anfang des 19. Jh. zurück schauen.

1. Geschichtliches aus den Jahren 1827 – 1938

Der Firmengründer Friedrich Wilhelm Stegmann ließ sich 1827 in der Färbergasse nieder, wo er gleichzeitig einen Tuch- und Kurzwarenhandel betrieb.

Im Jahre 1866 erwarb Carl Ernst Stegmann das Unternehmen. Als dieser 1897 starb übernahmen seine beiden Söhne die Färberei. Einer von beiden, Ernst Oswald, kaufte ein Grundstück im Grünthal. Außerdem zahlte er seinen Bruder aus. Mittels Wünschelrute fand man auf dem heutigen Gelände Wasser. Der in der Gegenwart existierende Teich diente der Wasserversorgung. 1904 wurde von den Behörden die Baugenehmigung einer Färberei im Grünthal erteilt. Der Betrieb konnte alsbald seine Arbeit aufnehmen. Um klare Besitzverhältnisse zu schaffen, gründete Ernst Oswald Stegmann 1922 mit seinen drei Söhnen Paul, Oswald jun. und Walter eine offene Handelsgesellschaft, kurz OHG.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass insbesondere die Textilfärberei im Laufe der Zeit verschiedenen durch Handel, Handwerk und Technik beeinflussten Veränderungen unterlag. Die OHG investierte in den Jahren von 1905 bis 1938 kräftig in Ausbau und Modernisierung der Färberei. z.B. wurden moderne Kessel, eine Unterwindanlage für die Befeuerung, eine eigene Dampfmaschine zur Stromerzeugung, eine Klär- und Wasseraufbereitungsanlage nach dem Kalk-Soda-Verfahren angeschafft. Außerdem entstanden neue Bauten und ein Tiefbrunnen, der heute noch funktioniert.

2. Von den Nachkriegsjahren bis zur Wende 1990

Am 15. April 1945 beschossen die Amerikaner Lichtenstein. Der Schornstein der Färberei wurde getroffen und das Dach stark beschädigt. Viele Arbeitstage in jener Zeit waren durch laufende Betriebsunterbrechungen gekennzeichnet. Roh- und Brennstoffe fehlten. Der Privatbetrieb musste mit vielen Schwierigkeiten mehr oder weniger gut zurecht kommen. Immerhin arbeiteten bis 1971 ca. 20 Beschäftigte im Unternehmen.

1983, Abtransport der Lokomotive, Quelle A. Stegmann

Fehlende oder kontingentierte Brenn- und Farbstoffe waren das Hauptproblem für die Färberei in der DDR. Um diesen Mangel zu mildern und an finanzielle Mittel zur Modernisierung des Betriebs heran zu kommen, musste 1971 „Staatliche Beteiligung“ aufgenommen werden. Zum Gesellschafter avancierte u. a. der VEB Möbelstoff- und Plüschwerke Hohenstein Ernstthal. Nach einem Hochschulstudium trat Herr Arnim Stegmann, Sohn von Walter Stegmann jun. 1971 in die FA als technischer Leiter ein.

Die Verstaatlichung der Färberei erfolgte am 24.02.1972. Es wurde die VEB Färberei Lichtenstein gegründet, die am 01.01.1975 dem VEB MPW angegliedert wurde. Auf Wunsch seines Vaters übernahm Herr Arnim Stegmann als „Betriebsdirektor“ die Leitung der VEB Färberei bis zur Angliederung dieses Betriebes an den VEB MPW Hohenstein-Ernstthal.

In der Folgezeit gab es sowohl bauliche als auch technische Veränderungen. So wäre z. B. der Antransport einer Lokomotive als Heizprovisorium für die Zeit des Baus einer neuen Kesselanlage zu nennen. Das Shedd-Dach (Säbelzahndach) wurde durch eine Metallkonstruktion ersetzt. 1983 waren wesentliche Baumaßnahmen abgeschlossen. Der Abtransport der Lokomotive BR 58 nach Apolda zog viele Schaulustige an. Eine Bilderdokumentation zu diesem Highlight befindet sich in einem Ausstellungsraum des MEC 3/22 hier im Grünthal.

Herr Walter Stegmann sen., der am 10.07.1984 verstarb, hatte bis über sein 80. Lebensjahr als Färbermeister aktiv gearbeitet. Sein Sohn Walter Stegmann verstarb 1988. Er konnte die Enteignung nie verwinden.

3. Wende- und Folgejahre

Am 19.02.90 wurde durch die Familie Stegmann der erste Antrag auf „Reprivatisierung“ an den Rat des Bezirkes Karl Marx Stadt gestellt. Vier Monate später kam die Mitteilung, dass der Betrieb wieder in Privathand über gehen könnte. Diese Nachricht war aber mit der Einstellung der Produktion und der Kündigung aller Arbeitskräfte in der Färberei verbunden.

Am 15.02.91 erfolgte die endgültige Übergabe des Betriebes an die früheren Eigentümer bzw. Erben. Sie fanden einen nieder gewirtschafteten Betrieb vor, für den sich vorerst keine Investoren finden lassen wollten. Seitens der Erben war guter Rat teuer. Die Eigner hegten den Gedanken wieder einen Ausrüstungsbetrieb auf zu bauen. Dieser musste aber schnell verworfen werden, weil die gesamte frühere Textilindustrie der DDR erschreckend schnell zu Grunde ging.

Das Suchen nach einem Investor hat sich schließlich doch gelohnt. Herr Karl Lingel sen. aus Ellwangen-Röhlingen war ein Unternehmer, der sich voll mit dem Ziel identifizierte, die Produktion seines Fensterbetriebes in einem neuen Bundesland zu erweitern, selbst zu produzieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Mitglieder der Erbengemeinschaft brachten erhebliche finanzielle Mittel auf, nicht zuletzt durch die Unterstützung der Deutschen Bank, um die Voraussetzungen für die Produktion von Kunststofffenstern zu schaffen.

In der Folgezeit entwickelte sich ein florierender Betrieb, der expandieren wollte. Die Planer der 1. LGS in Sachsen fanden am Gelände im Grünthal Gefallen. Sie suchten Wege nach einer Lösung. Das große Engagement von Herrn Lingel und die Unterstützung durch den Bürgermeister Herrn Sedner führten letztlich dazu, dass Herr Lingel im Gewerbegebiet einen neuen Fensterbetrieb errichtete und noch 1995 dort die Produktion begann. Der Weg für die 1. LGS 1996 war frei. Nach Beendigung der 1. Sächsischen Landesgartenschau 1996 wurden die gesamten Betriebsräume, u. a. an das Ausbildungszentrum Lichtenstein (AZL) und an den Verein W.I.R. vermietet. Mit dem Freiwerden von Räumlichkeiten und deren Renovierung durch die Erbengemeinschaft Lichtenstein konnte dem Modellbahnclub Lichtenstein ein neues Domizil zur Verfügung gestellt werden.

Sicherlich wäre noch eine Menge Fakten zur Geschichte der „Alten Färberei“ zu erzählen, um daraus eine vollständige Chronik zu erarbeiten. Dieses Ziel wurde von Herrn Arnim Stegmann und mich als Verfasser des Artikels für unsere Homepage auch nicht angestrebt. Unser Modellbahnclub ist aber stolz darauf, nun Bestandteil der Geschichte der „Alten Färberei“ Lichtenstein zu sein.

Artikel von Frank Kaden mit freundlicher Unterstützung von Herrn Armin Stegmann