Der Bahnhof Lichtenstein/ Callnberg und die Geschichte der Eisenbahnstrecke St.Egidien – Stollberg

Reichsbahnoberrat a.D. Manfred Böhm

Am 19. August 2000 fand der 13. Museums-Kaffeeklatsch im Bahnhof Lichtenstein statt. Der auf dieser Veranstaltung gehaltene Vortrag von Manfred Böhm zur Geschichte der Bahnstrecke St.Egidien – Stollberg wird hier abgedruckt: Der in Callnberg geborene Manfred Böhm war seit 1940 auf dem Bahnhof Lichtenstein und seit 1945 auf dem Oelsnitzer Bahnhof tätig. Seit 1970 stand er den Bahnhöfen Oelsnitz, Neuoelsnitz und Lichtenstein vor.

Verkehrsverbindungen vor 1878
Die Bewohner mussten, um sich aus ihrer Umgebung fortbewegen zu können, zu Fuß gehen oder sie mussten die bestehenden Postverbindungen nutzen. Im Jahre 1878 bestanden folgende Verbindungen: 7 x am Tage nach St. Egidyen, 2 x nach Ölsnitz/ Stollberg und 1 x nach Mülsen/ Zwickau. Außerdem gab es noch einen Omnibus der vom Gasthof „Goldne Sonne“ 4 x am Tage nach St.Egidien und zurückfuhr. Zudem verkehrte eine Postkutsche von Zwickau über Lichtenstein nach Chemnitz und zurück sowie zwischen Stollberg- Lichtenstein – Glauchau. Der rege Postkutschenverkehr nach St.Egidien war begründet in der seit November 1858 bestehenden Möglichkeit der Nutzung der Eisenbahn, die in St.Egidien hielt und von dort in Richtung Dresden oder Zwickau fuhr. Ursprünglich war geplant, diese Strecke nach dem Bahnhof Hohenstein-Ernstthal in Höhe von Bernsdorf über das Lungwitzbachtal, Lichtenstein, den Mülsengrund direkt nach Zwickau zu führen, ähnlich den Gedanken, die jetzt wieder in den Köpfen einiger Zeitgenossen herumschwirren, um den Zug 10 Minuten früher nach München zu bringen. Klügere Köpfe haben dies seiner Zeit vereitelt, um die aufstrebende Industrie- und Kreisstadt Glauchau an die Eisenbahn heranzuführen. Dies holte die Lichtensteiner auf den Plan.

Planung der Eisenbahnlinie
Durch den Landtagsabgeordneten Stadtrichter Werner brachten die Lichtensteiner ihre Forderung an den Landtag zum Bau einer Eisenbahn zwischen St.Egidien und Stollberg vor. Damit wurde auch die aufstrebende Steinkohlenindustrie im Raum von Oelsnitz unterstützt, die eine Möglichkeit zum Abtransport ihrer geförderten Kohle benötigte. Bis dahin musste die Kohle von Oelsnitz mit Pferdefuhrwerken in die umliegenden Orte transportiert werden. Erst in Lugau bestand seit 1858 Anschluss an das Eisenbahnnetz (nach Wüstenbrand). Mit den ständigen Forderungen sah sich der sächsische Landtag konfrontiert und so kam es, dass dieser im Jahre 1876 dem Bau einer Eisenbahnstrecke mit einem Kostenaufwand von 6,5 Mill. Mark zustimmte.

Bau der Bahnstrecke
1877 erfolgte der erste Spatenstich. Riesige Mengen von Erd- und Felsmassen mussten bewegt werden. An Kunstbauten waren auch größere Viadukte und zwar über das Lungwitzbachtal (Höhe: 15 Meter), über das Rödlitzbachtal (Höhe: 16 Meter) und über das Hegebachtal (Höhe: 19 Meter) sowie weitere 20 Chaussee- und Wegeunterführungen, 10 Chaussee- und Wegeüberführungen und 44 WöIb- und Deckschleusen auszuführen. Bahnhofsgebäude und Güterabfertigungsgebäude entstanden in Lichtenstein, Oelsnitz und Stollberg sowie kleinere Haltestellengebäude. Im Jahre 1877 waren durchschnittlich täglich 1191 Arbeiter beschäftigt, im November 1877 waren es sogar 1826 Personen.

Anschlussbahnen zu den Steinkohleschächten
Im Februar 1878 wurde eine Resolution im Landtag eingebracht, dass mit dem bisherigem Arbeitstempo, insbesondere dem Bau der Anschlussbahnen zu den einzelnen Steinkohleschächten, der Termin der Fertigstellung nicht zu halten sei. Man bedenke dabei: Die Bahn zweigt von der Mitte des Stationsgebäudes vom Bahnhof St.Egidien ab und endet nach 19,5 km in Stollberg, wobei von der Haltestelle Höhlteich eine Zweigbahn von 3 km nach Lugau abzweigt. Im Bereich des Bahnhofs Oelsnitz waren der Bau von mehreren Anschlussbahnen erforderlich. Dazu gehörte die Zechenbahn nach der Kaisergrube in Gersdorf, in die Anschlüsse vom Friedensschacht und vom Concordiaschacht einmündeten. Hinzu kamen Anschlüsse nach dem Helene-Ida-Schacht, nach dem Pluto-Merkur-Schacht, dem Deutschlandschacht, dem Vereinigtfeldschacht und vom Streckengleis abzweigend nach dem Vereinsgliedschacht, außerdem der Bahnhofsanschluss zur Schneidmühle Günther und eine Anschlussbahn zum Steinkohlenbrikettwerk Förster, später Steinkohlenmahlwerke.

1878 – Einweihung und die ersten Ereignisse auf der Bahnstrecke
Am 24. August 1878 war im Wochen- und Nachrichtenblatt Lichtenstein zu lesen: Die erste Lokomotive wird in den nächsten Tagen unsere Grenzmarken überschreiten. Bürger Lichtensteins; ich bitte, feiert dieses freudige Ereignis durch Flaggenschmuck und lebhafte Beteiligung an den von der städtischen Vertretung in Aussicht genommenen Begrüßung. – Singer Am 28. August 1878 war es dann so weit. 11.30 Uhr fuhr die Lokomotive in den Bahnhof ein. Bürgermeister Fröhlich hielt die Rede und bedankte sich bei den Bahnbeamten und den Gästen. Es folgte eine Vergnügungsfahrt bis nach Rödlitz. Nach der Rückkehr gab es ein Frühstück für die zahlreich erschienenen Gäste. Am Nachmittag stand ein Konzert im Garten des Gasthofs „Goldner Helm“ auf dem Programm. Ein besonderer Dank galt dem Stadtrichter Werner, der sich große Verdienste um den Bau des Bahnhofs erworben hatte. Am 1. Oktober fuhr die erste Lokomotive bis Oelsnitz und am 15.10.1878 der erste Güterzug/ Kohlenzug von Oelsnitz nach Glauchau. Nur wenige Monate später ereignete sich der erste Unfall: Am 1. November 1878 betrat ein Arbeiter trotz Warnung das Gleis, wurde von der Lok erfasst und zerquetschte sich dabei einen Fuß. Er verstarb am 3. November.

Nebenstrecke mit geringer Zuggeschwindigkeit
Die Bahnstrecke ist eingleisig und wurde als Sekundärbahn gebaut. Das heißt, der Hauptunterschied bestand zur Hauptbahn in der geringeren Geschwindigkeit der Züge. Hierdurch wurde die ständige Bewachung der Niveauübergänge entbehrlich. 10 solcher Wärterposten konnten dadurch entbehrt werden, was eine jährliche Einsparung von 10.000 Mark gleichkam. So ist zu konstatieren, dass die Schrankenwärterhäuschen zwischen St.Egidien und Lichtenstein sowie an der Hartensteiner Straße nie als solche benutzt wurden.

1879 – Beginn des Personenverkehrs
Dank des Fleißes der in- und ausländischen Arbeiter, die trotz geringer Löhne und langer Arbeitszeiten den Bau vorantrieben, konnte man am 18. April 1879 in den Zeitungen lesen, dass die Eisenbahnstrecke Stollberg – St.Egidien fertiggestellt ist. Mit dem Beginn des Sommerfahrplanes am 15. Mai konnte sie in Betrieb genommen werden. Bereits zum vorangegangenen Fahrplanwechsel, am 15. Oktober 1878, wurde der Güterverkehr zwischen Oelsnitz und St.Egidien aufgenommen. Nicht zu vergessen die Fertigstellung der Anschlussstrecke in Stollberg nach Chemnitz 1881 und nach Zwönitz 1884.

Wirtschaftlicher Aufschwung
Durch die Fertigstellung der Bahn, die unter anderen auch durch die Unterstützung der örtlichen Gewerke und Bauern erfolgte (z.B. durch das Heranfahren der Steinquader für den Brückenbau aus den Lobsdorfer Steinbruch oder für die Durchführung der Malerarbeiten u.a.) gab es einen rapiden Verkehrsaufschwung. So entwickelte sich die Ortschaft Oelsnitz bei Lichtenstein – so die damalige offizielle Bezeichnung – mit einer Einwohnerzahl von 5000 im Jahre 1874 auf 16.000 im Jahre 1908 zum größten Dorf Sachsens. Auch das Dorf Hohndorf wuchs von 1.550 Einwohnern im Jahr 1870 auf 5.863 im Jahr 1908. In den Steinkohlenwerken in Oelsnitz und Hohndorf waren 7.839 Arbeiter und Beamte beschäftigt. Durch die neue Bahn konnte die Beförderung von Steinkohle von 44.000 t im Jahre 1879 auf 1.442.234 t im Jahre 1908 gesteigert werden. Das bedeutete eine tägliche Beladeleistung bei 6-tägiger Arbeitszeit von durchschnittlich 4.600 1. Die Städte Lichtenstein und Callnberg hatten zusammen im Jahre 1843 5.489 Einwohner und im Jahre 1910 11.196 Einwohner. Die wirtschaftliche Entwicklung machte auch hier bedeutende Fortschritte für die Textilindustrie. Damit wurde ein Ansteigen des Stückgutverkehres erzielt.

Aufbau des Haltestellennetzes
Nach der Jahrhundertwende entstanden weitere Haltestellen, um den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden. So in Rödlitz, Hohndorf, Mitteloelsnitz und Niederwürschnitz.

Das Lichtensteiner Bahnhofsgebäude
In die Zeit nach 1900 dürfte der Anbau der Gepäckabfertigung an das Bahnhofsgebäude in Lichtenstein fallen. Weitere Veränderungen am Bahnhofsgebäude waren das Vermauern der Ausgänge an den beiden Gebäudeflügeln von der Bahnhofsgaststätte, wie auch vom Fahrdienstleiterraum zum Bahnsteig. In der Empfangshalle wurde eine Absperrung mit zwei Häuschen mit den Fahrkartenprüfer und Kontrolleur eingebaut. Bei schlechtem Wetter hatten die Reisenden eine geschützte Unterbringung und konnten von dort sofort auf den Bahnsteig gelangen. Die Fahrkartenausgabe war neben Glauchau und Hohenstein-Ernstthal eine der Leistungsfähigsten in der näheren Umgebung. Die Kunden konnten bei Bedarf, insbesondere in den Morgenstunden des Montags, an zwei Schaltern bedient werden. Ein Schalter war schon in den 30er Jahren mit einem modernen Fahrkartendrucker ausgerüstet. Nachdem dieser 1979 durch einen moderneren elektronischen Drucker ersetzt wurde, kam die Fahrkartenausgabe in Oelsnitz in den Genuss dieses eingebauten Druckers, der aber immerhin noch leistungsfähig war und den uralten Schrankschalter in Oelsnitz ablöste. Auch die Gepäckabfertigung bekam bereits in den 30er Jahren eine tragfähige Neigungsgewichtswaage. Im Bahnhofsgebäude wurde während das 2. Weltkrieges, als der Personenverkehr durch die Einrichtung von Lazaretten in Lichtenstein stark anstieg, eine Auskunft eingerichtet. Weitere Umbauten wurden 1976 und 1987 durchgeführt. Anlass war die Einrichtung des Busbahnhofes durch den Rat der Stadt. Dabei war der größte Erfolg für den Bahnhof die Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes und insbesondere die Umgestaltung der maroden Toilettenanlagen. Der Fahrkartenverkauf für den Bus wurde in die Bahnhofshalle verlegt. Gleichzeitig erfolgte eine Vergrößerung der Küche, in der auch Lehrlinge ausgebildet wurden. 1986 erfolgte ein weiterer Umbau des Bahnhofsgebäudes und der Außenanlagen. Dazu zählte neben der Fassadengestaltung u.a. die Bahnhofshalle, Toilettenanlagen, Bahnsteig-Asphaltierung, Beleuchtung, Renovierung der Arbeitsräume und der Gaststätte, Erneuerung der Sanitäranlagen und Heizung und Modernisierung der Wohnungen im Gebäude. Mitte der 90er Jahre wurden die Außenanlagen des Bahnhofs noch einmal verändert. Nach den Verschönerungen der Bahnanlagen im Kreis Hohenstein-Ernstthal, den Bahnhöfen Hohenstein-Ernstthal, Wüstenbrand, Lichtenstein und der Haltestelle Rödlitz-Hohndorf war es dem Rat des Kreises Stollberg bzw. dem Rat der Stadt Oelsnitz/Erzgeb. nicht möglich, ähnlich bessere Verhältnisse für das Bahnhofsgebäude in Oelsnitz zu schaffen. Aber auch dort wurden in der ehemaligen Güterabfertigung bessere Sozialanlagen für die Eisenbahner geschaffen. Die Umgestaltung von 20 Eisenbahnerwohnungen am Hofgraben in Hohndorf waren ebenfalls beispielgebend.

Personenbeförderung und Kilometerpreise im Wandel der Zeit
Im Personenverkehr wäre zu erwähnen, dass die Beförderung der Reisenden schon zu der Eröffnung der Strecke 1879 nicht mehr in offenen Wagen erfolgte. Es waren schon die Abteilwagen gebräuchlich, die bis ca. 1970 noch im Einsatz waren. Eine Ausnahme bildeten die Wagen der 4. Klasse mit einem Raucher- und einem Nichtraucherabteil und jeweils auf beiden Seiten einer Längsbank sowie in der Mitte einer doppelten Längsbank. Seit den 60er Jahren wurden die Wagen mit dem Mittel-Durchgang und den Einstiegen jeweils am Wagenende verstärkt eingesetzt. Die Kilometerpreise betrugen am Anfang 1 Pfennig in der 4. klasse, 2 Pfennige in der 3. Klasse, 4 Pfennige in der 2 Klasse und 6 Pfennige in der 1. Klasse. Bis Oktober 1945 betrug der Kilometerpreis 4 Pfennig in der 3. klasse, 6 Pfennig in der 2. Klasse und 8 Pfennig in der 1. Klasse. Danach wurden die Fahrpreise in ganz Deutschland um das Doppelte erhöht und blieben in der DDR bis zur Wiedervereinigung konstant.

Güterverkehr
Die für Lichtenstein bestimmten Güterwagen wurden alle über Glauchau geleitet und jeweils hier bereitgestellt bzw. die fertiggestellten Wagen in die Züge eingestellt und über Oelsnitz abgefahren. Für die Zug-, Rangier- und Entlade bzw. Beladearbeiten standen im Bahnhof sechs Gleise zur Verfügung: Auf Gleis 1 und 2 kam der Reiseverkehr an. Dort hielten aber auch Güterzüge bzw. fuhren durch. Gleis 3 diente für abzustellende Güterwagen, Gleis 4 für die Seitenladerampe, Gleis 5 für die Kopframpe, für die Kohleentladung, für die Seitenrampe an der Güterabfertigung und für die Bereitstellung der Stückgutwagen. Schließlich wurden auf Gleis 6 die übrigen Güter be- und entladen. Während in die Gleise 3 – 6 aus Richtung Oelsnitz einrangiert werden konnte, war dies in Richtung St.Egidien nur auf den Gleisen 3 – 5 möglich. Diese Möglichkeit wurde allerdings nur sehr selten genutzt, so dass im Jahre 1968 die unrentablen Weichen ausgebaut wurden. Im Gleis 5 wurden die Kohlewagen der Lichtensteiner Kohlehändler entladen. An der Seitenladerampe im Gleis 4 erfolgte hauptsächlich die Schrottverladung der Fa. Stiegler, die noch eine Lagerfläche für den abzufahrenden Schrott angemietet hatte. Am Gleis 4 bzw. am Gleis 5 erfolgten auch alle hauptsächlich in den Kriegsjahren anfallenden Verladearbeiten der Barackenteile von der Firma Frenzel, deren Transport auch nach Holland und Belgien ging. Am Güterboden wurden die Stückgutwagen aus der Umladehalle in Hilbersdorf bzw. von der Güterabfertigung Glauchau entladen und auch in diese Richtungen beladen. Das Entladeaufkommen betrug bis zu 3 Wagen täglich und musste von nur einem Lademeister und einem Güterbodenarbeiter bewältigt werden. Rangierarbeiter oder Lehrlinge halfen oft mit. Bei großen Stückgütern ging das mitunter schnell, aber wehe, wenn sich im Wagen eine Sendung von bis zu 200 Eimern Marmelade oder die vielen Kekspakete für die Lebensmittel-Großhändler Lindig und Ahrends befanden. Oft kamen die Güter beschädigt an. Das bedeutete, dass die Wagen zusätzlich gesäubert werden mussten. Arbeit gab es immer. Nach dem Krieg nahm der Stückgutverkehr jedoch ab. Entsprechend wurde die Stückgutbeförderung von Amtswegen reorganisiert. Die Stückgüter wurden in einem Zug Richtungsweise transportiert. Der Zug fuhr alle an der Fahrstrecke befindlichen Güterböden an. Später wurde der Stückgutverkehr auf die größeren Abfertigungen konzentriert. Die Güterböden der Bahnhöfe wurden geschlossen. Verschiedene Firmen nutzten die Räume für Lagerzwecke. Dazu kam, dass die Abfertigung der Wagenladungen im Versand und Empfang auf bestimmte Knotenbahnhöfe so u.a. auch auf Oelsnitz konzentriert wurde. 1963 wurde der Kohleempfang auf bestimmte Kohleentladebahnhöfe konzentriert, so auch auf den Bahnhof Oelsnitz. Den Empfängern in Lichtenstein wurde jedoch weiterhin die Entladung am eigenen Bahnhof gestattet. Die Kohlen kamen aus den Brikettfabriken in Ganzzügen nach Oelsnitz. Die Briketts für Lichtenstein wurden dort umgeladen. Die Kohlenhändler Schmidt und Fritzsche, die in Rödlitz-Hohndorf entluden, mussten ihre Kohlen in Oelsnitz holen, erhielten dafür aber eine dauernde Entschädigung. Gleis 6 nutzte vor allem die Landwirtschaftliche Genossenschaft bis zum Einzug der Futtermittelchemie in deren Gebäude. Die Futtermittelchemie beanspruchte viel Platz und wurde zum Ärgernis der Lichtensteiner Bevölkerung, da deren Erzeugnisse eine übermäßige Staubentwicklung hervorriefen, von der besonders die Frauenklinik betroffen war. Es war ein Glück, als diese Produktion nach einigen Jahren zum zentralen Werk nach Neumark verlagert wurde. In die frei gewordenen Lagerräume zog die Braustolz Brauerei aus Karl-Marx-Stadt ein und nutzte diese als Lagerräume. Von hier aus erfolgte auch der Versand des Bieres. Eine weitere wichtige Entladestelle muss erwähnt werden. Transformatorenöl für das Trafo-Werk gelangte vom Gleis 4 in Rohrleitungen unter der Bahnhofstraße und dem Schulgelände zum Werk. Im Jahre 1988 wurde diese Transportleitung noch einmal erneuert.

Personenverkehr – Ohne Umsteigen nach Chemnitz
Welche Möglichkeiten der Beförderung bestanden für die Lichtensteiner? Zunächst fuhren alle Reisezüge zwischen Stollberg und St.Egidien. Nur ein Zugpaar fuhr bereits in der Vorkriegszeit in der Mittagszeit bis Glauchau durch. In St.Egidien konnten Anschlusszüge in Richtung Chemnitz-Dresden-Berlin bzw. über Glauchau nach Zwickau-München, über Glauchau und Gößnitz nach Leipzig, ins Muldental oder nach Gera-Erfurt usw. erreicht werden. Wer im Fahrplan bewandert war, hatte auch frühmorgens eine Verbindung von Stollberg durchgehend über Glauchau bis Gera. Leider fand die Verbindung im Fahrplan keine besondere Erwähnung. Für die in Chemnitz beschäftigten Arbeiter fuhr der Zug früh durchgehend über Oelsnitz und Wüstenbrand nach Chemnitz. Dieser Zug wurde ebenfalls ohne Nennung im Fahrplan geführt, später sogar bis Hainichen.

Weitere Änderungen im Steckenbereich
In Oelsnitz sollte ein neuer leistungsfähigerer Ablaufberg gebaut werden. Dies erfolgte in den Jahren des 1. Weltkrieges. Leider gab es mit dem Ablaufberg Probleme. Aufgrund von Materialmangel nach dem Krieg war es nicht möglich, die Verteilerweichen an das neue Stellwerk anzuschließen. Erst 1923 war der Ablaufberg fertig. In den Jahren 1935/1936 gab es eine rege Bautätigkeit. In Oelsnitz wurden das Befehlsstellwerk und das Stellwerk 3 errichtet. In Neuoelsnitz entstanden die Stellwerke 1 und 2. Damit konnten mehrere Weichenposten eingespart werden. Das Anschlussgleis vom Kaiserin-Auguste-Schacht, das bis 1936 in Richtung Lugau führte, wurde nach dem Bahnhof Neuoelsnitz umgebaut. Damit war ein zentrales Arbeiten in Oelsnitz möglich. Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt wurde der Schrankenposten an der Straße zur Waldesruh in Oelsnitz aufgegeben. Der Schrankenwärter Richard Pfaff wurde daraufhin zum Schrankenposten an der Niclaser Straße in Lichtenstein versetzt. 1954 war es erforderlich, den Hegebach-Viadukt zu sanieren. Bergbausenkungen hatten zu größeren Schäden geführt, so z.B. die gewaltige Senkung des Geländes in der Pflockenstraße bis über die Waldesruh hinaus im Jahre 1958. Auch das Bahnhofsgebäude in Neuoelsnitz war dabei in Mitleidenschaft gezogen worden. Daraufhin mussten alle Rangierarbeiten in Neuoelsnitz eingestellt werden. Der Bahnhof in Oelsnitz wurde dadurch mehr belastet. Erneuerungsarbeiten auf dem Bahnhof Neuoelsnitz konnten erst 1978 durchgeführt werden und der Bahnhof Neuoelsnitz wurde damit eine Abzweigstelle. Für die Beförderung der Steinkohle gab es oftmals Richtungsänderungen. Waren es früher neben der Abfuhr nach Chemnitz und Glauchau die Ziele Zwönitz, Aue, Annaberg, so waren es später Ganzzüge nach Gaschwitz, Aue, Riesa Hafen, Dresden-Reick, Berlin Rummelsburg u.a. Neben der Kohleabfuhr gab es Sonderaufgaben. Z.B. Ende der 40er Jahre, als das Bergarbeiterkrankenhaus in Erlabrunn und auch verschiedene Eisenbahnprojekte in diesem Raum erbaut wurden, kamen die Baustoffe im Einzellauf nach Oelsnitz und wurden hier täglich zu einem Ganzzug zusammengestellt. Auch dann, wenn andere Bahnhöfe verstopft waren, wurde Oelsnitz als Sammelbahnhof genutzt, um bestimmte Güter zusätzlich in Ganzzügen abzufahren. Es gab bei diesen Zusatzleistungen der Oelsnitzer Eisenbahner niemals Beanstandungen. Eine betriebsichere und auch fehlerfreie Arbeit würdigte die Bahndirektion und auch das Ministerium oftmals mit besonderer Anerkennung. Die Leistungsfähigkeit des Bahnhofes Oelsnitz führte dazu, dass dieser Bahnhof mehr und mehr als Sammelbahnhof für den Export von Gütern aus dem damaligen Bezirk Karl-Marx-Stadt in die Sowjetunion oder nach Südeuropa über Bad Schandau genutzt wurde. Eine ganz wichtige Baumaßnahme zur Erleichterung der Arbeit aller Betriebseisenbahner war der Einbau von Weichenheizanlagen im Jahr 1985, ein Jahr später auch in Lichtenstein. Nun konnte der Winter kommen wie er wollte.

Organisation der Eisenbahn
Die Bezeichnung Königlich-Sächsische-Staats-Eisenbahnen (K.Sächs.Sts.E.B.) galt bis zur Zusammenfassung aller deutschen Eisenbahnen zur Deutschen Reichsbahn am 01.04.1920, ab dem 11.10.1925 DRG – Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft. Erst 1934 wurde die Eisenbahn wieder staatlich und bezeichnete sich wieder als Deutsche Reichsbahn. In diesen Jahren war der Reichsverkehrsminister gleichzeitig auch der Generaldirektor. Zum Ende des Krieges 1945, als die Besatzungsmächte in Oelsnitz die Grenze errichteten, wurde versucht, den Lokpark von Oelsnitz nach Glauchau und dem Westen abzuziehen. Dies konnte verhindert werden. Die Amerikaner bildeten in Zwickau eine Reichsbahndirektion. Dazu gehörte auch der Bahnhof Lichtenstein, aber nicht der Bahnhof Oelsnitz. Dieser Zustand war allerdings nicht von langer Dauer. Die DR blieb DR. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde von dem damaligen Bahnhofsvorsteher in Oelsnitz eine Zusammenlegung der Bahnhöfe Oelsnitz, Lichtenstein, Neuoelsnitz und Lugau angestrebt. Dieser Zusammenschluss bewährte sich. Lediglich der Bahnhof Lugau wurde nach einem Jahr wieder herausgelöst.

Unfälle
Es kam vor, dass Wagen während des Rangierbetriebes entgleisten. Oftmals konnten die örtlichen Eisenbahner Unregelmäßigkeiten selber beseitigen.
Manchmal war es aber auch erforderlich, den Hilfszug aus Chemnitz anzufordern. Verschiedene Vorkommnisse, die zu Katastrophen hätten führen können, liefen am Ende glimpflich ab. In Folge der Bergbausenkung 1958 machten sich 4 Güterwagen in Neuoelsnitz ungewollt auf die Strecke und rollten in Richtung Oelsnitz. Eine schnelle Alarmierung führte dazu, dass die Schranken geschlossen wurden. In Oelsnitz stellte man die Weichen nach einem freien Gleis und legte Hemmschuhe aus. Nach mehreren Hemmschuhabwürfen kamen die Wagen dann doch noch zum Halten. Zweimal passierte es, dass auf freier Strecke ein Traktor angefahren und dessen Vorderteil abgefahren wurde. Einmal fuhr der Zug in eine Gruppe Rinder, die aus der Koppel ausgebrochen waren. Der schwerste Unfall ereignete sich am 30. August 1974. In Oelsnitz stand auf Gleis 3 ein Zug mit leeren Zementwagen. Der Lokführer war an den Zug herangefahren und wollte Luft aufpumpen. Luft ist erforderlich, um den Zug bremsen zu können. Das Auffüllen klappte nicht. Der Lokführer stieg von der Lok und wollte die undichte Stelle suchen. In diesem Moment setzten sich 14 Wagen mit der Lok in Bewegung und konnten nicht gestoppt werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der planmäßige Güterzug den Bahnhof Lichtenstein in Richtung Oelsnitz durchfahren. Durch den Unfallruf konnte der Schrankenwärter an der Niclaser Straße den Güterzug anhalten und zum Bahnhof zurückbeordern. In der Zwischenzeit begab sich der Fahrdienstleiter in Lichtenstein zur Einfahrweiche und stellte sie nach Gleis 3. Da der Güterzug nicht vollständig in das Gleis passte, also nicht ganz grenzzeichenfrei stand, eine Vorbeifahrt aber möglich war, stellte er die Weiche wieder nach Gleis 2. Am Einfahrsignal aus Richtung St.Egidien stand aber bereits der fällige Personenzug. Die Lok mit den 14 Wagen prasselte durch den Bahnhof und stieß mit dem am Einfahrtsignal haltenden Personenzug zusammen. Der Zugführer, der sich auf der Lok befand, sah das Unheil auf sich zukommen und sprang ab. Der Triebfahrzeugführer kam nicht so schnell heraus. Das Resultat: Beckenbruch, 2 Triebfahrzeuge V 110 schwer beschädigt. 2 entgleiste Zementwagen lagen umgestürzt in einem angrenzenden Garten. Der Personenzug war glücklicherweise nur mit 2 Fahrgästen besetzt, die mit dem Schrecken davon kamen. Der Schaden betrug 270.000 DM. Der Fahrdienstleiter erhielt für sein umsichtiges Verhalten eine Anerkennung durch den anwesenden Leiter des Reichsbahnamtes. Es waren aber auch Unfälle von Beschäftigten, Reisenden und Bahnfremden zu verzeichnen.

Eisenbahn ist eine wunderschöne Angelegenheit
Die Fahrt eines Zuges durch die Lande mit der geballten Kraft der Lokomotive und der Ausstoß des Dampfes, der Anblick der zusammenwirkenden Kraft der Maschinenteile der Lok ist faszinierend. Durch die Ablösung der Dampflok von Diesel- oder E-Lok hat sich das Bild verändert. Aber auch mit diesen neuen Zugkräften können wunderschöne Formgebungen hervorgebracht werden. Wollen wir es dabei belassen, die Eisenbahn als unser Fortbewegungsmittel und als Mittel der Beförderung von Gütern zu betrachten und uns an deren Anblick zu erfreuen. Für andere Zwecke ist sie nicht gedacht und auch nicht förderlich… Wir bedauern zutiefst, dass es unter den Menschen Vorkommnisse gibt, die sie zu Kurzschlusshandlungen bewegen lassen, um aus dem Leben zu scheiden.

Eisenbahn im Kundenfreundlichen Stadt- und Nahverkehr
Unser Leben ist nach den veränderten Bedingungen durch den Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten für den größten Teil der ehemaligen DDR-Bürger nicht gerade leichter, aber doch zumindest freier und damit auch lebensfreudiger geworden. Auch wenn der Eisenbahnverkehr auf den Nebenstrecken nach der Wende im Güterverkehr fast zum Erliegen gekommen ist und der Bahnhof Lichtenstein nur noch ein kleines Licht, also nur noch ein Haltepunkt ist, so gilt doch noch der Beschluss des Kreistages von Hohenstein-Ernstthal aus dem Jahre 1965, die Strecke St.Egidien – Stollberg nicht zu schließen. Viel mehr wird darüber nachgedacht, ein straßenbahnähnliches Verkehrsmittel mit mehreren Haltestellen zu schaffen, um damit bevölkerungsfreundlich zu werden. Damit wird dann auch der Stadtteil Callnberg seinen Eisenbahnzugang an der Niclaser Straße besitzen, nämlich dort, wo der damalige Bürgermeister von Callnberg den Bahnhof haben wollte.

Quellen:

  • Wochen- und Nachrichtenblatt Lichtenstein, Jahrgänge 1878, 1879
  • Eine Übersicht über das Oelsnitzer Bergbaugebiet aus dem Jahre 1908 (oder 1909?), ca. 125 Seiten, ohne Titel, Hrg: wahrscheinlich vom Lugauer Steinkohlenbauverein.
  • Geschichte der Stadt Lichtenstein von Bruno Lippmann, 1964, Abschnitt G, Pkt. 15
  • Eigene Erlebnisse des Verfassers